DERICON & Sebastian Gertler
Interview
DERICON berechnet ab sofort auf seiner Beratungsplattform DERIFIN die Eintrittswahrscheinlichkeiten für zahlungsrelevante Ereignisse von Zertifikaten. Weiß der Berater damit jetzt in Zukunft ganz genau, wie hoch die Risiken des jeweiligen Produkts sind?
Wahrscheinlichkeiten etablieren sich bei den Emittenten als neuer Transparenzstandard. In wie weit Sie vom Anleger angenommen werden wird sich zeigen. Letztlich handelt es sich bei allen Wahrscheinlichkeiten, egal wie sie ermittelt werden, um Schätzungen die einem Prognosefehler unterliegen können. Berater und Anleger sollten die Kennzahl daher eher als bestätigendes Signal für eine getroffene Kaufentscheidung nutzen, sie aber nicht alleine aufgrund der Wahrscheinlichkeit treffen.
Welche Bedeutung sollten Investoren den neuen Kennzahlen, welche die Erfolgsaussichten quantifizieren sollen, insgesamt einräumen?
Grundsätzlich bilden Wahrscheinlichkeiten eine gute Indikation um zu überprüfen ob das „Bauchgefühl“ das Anleger bei einem Produkt haben sich auch in Prozenten belegen lässt. Mehr als eine grobe Indikation geben die Wahrscheinlichkeiten allerdings nicht und sollten daher bei der Produktauswahl und im Risikomanagement lediglich als ein Baustein betrachtet werden. Sinnvoll können Sie z.B: bei Discountern mit tiefen Barrieren sein, die in der Beratung gerne als Festgeldersatz angeboten werden. Um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie sicher die maximale Rückzahlung ist, kann die Wahrscheinlichkeit für das unterschreiten des Caps zum Stichtag herangezogen werden.
Warum werden mit der empirischen und modellbasierten Wahrscheinlichkeit gleich zwei Kennzahlen ermittelt, die die gleiche Aussage haben? Sorgt das nicht für Verwirrung?
Im Gegenteil! Sowohl die empirische als auch die modellbasierte Berechnung von Eintrittswahrscheinlichkeiten haben ihre Berechtigung. Dass sich die Ergebnisse je nach Methode unterscheiden, zeigt dass es sich immer nur um Indikationen handelt und die Zukunft nicht prognostiziert werden kann. Auf DERIFIN publizieren wir deshalb beide Kennzahlen und überlassen dem Berater die Entscheidung, welche Methode er für besser hält. Im Übrigen berechnen wir nicht nur die Wahrscheinlichkeiten für Barrierebrüche, sondern für alle relevanten Ereignisse wie beispielsweise ob der Discount ausreicht oder eine Aktienanleihe am Ende die Maximalrendite auszahlt.
Was spricht für die von Dericon bereits seit geraumer Zeit berechnete empirische Wahrscheinlichkeit, also die Wahrscheinlichkeit die auf Basis der Kurshistorie ermittelt wird?
Die Kursentwicklung der Vergangenheit ist das Einzige was wir von einer Aktie kennen. Den historischen Kursverlauf zu analysieren ist daher im ersten Schritt naheliegend zumal er uns ein realistisches Bild von möglichen Kursbewegungen gibt. Bei der empirischen Ermittlung von Wahrscheinlichkeiten müssen wir zudem keine realitätsfernen Annahmen treffen, wie z.B. die Normalverteilung von Renditen. D.h. auch Kurssprünge und extreme Bewegungen die wir ja in der Praxis immer wieder beobachten, werden bei der empirischen Ermittlung der Wahrscheinlichkeit eher berücksichtigt.
Welche Nachteile hat die empirische Herangehensweise?
Für die Ermittlung empirischer Wahrscheinlichkeit sollte eine angemessen lange Kurshistorie zur Verfügung stehen. Auf DERIFIN ziehen wir dabei die letzten zehn Jahre für die Berechnung heran. Sind die entsprechenden Daten nicht vorhanden, verlieren die Ergebnisse entsprechend an Aussagekraft. Darüber hinaus stellt sich die grundsätzliche Frage in wieweit der Trend der Vergangenheit auf die Zukunft übertragen werden kann. Daher nehmen wir hier seit einiger Zeit eine Glättung des Trends vor, damit eine positive oder negative Kursentwicklung der Vergangenheit keinen Einfluss auf die berechnete Wahrscheinlichkeit hat.
Was spricht für den modellhaften Ansatz?
Der Einsatz von Modellen wie B&S; vereinheitlicht und standardisiert die Berechnung von Wahrscheinlichkeiten. D.h. die getroffenen Annahmen über die Modellwelt gelten für alle Aktien. Die Wahrscheinlichkeiten sind damit Basiswertübergreifend miteinander vergleichbar. Darüber hinaus ist die implizite Berechnung immer dann naheliegend, wenn im Basiswert keine ausreichende Kurshistorie verfügbar ist.
Welche Nachteile gibt es dort?
Die Annahmen in der Modellwelt vereinfachen die Realität zum Teil drastisch. Anomalien wie Kurssprünge oder variierende Schwankungsbreiten kommen in der gängigen Theorie nicht vor. Das führt dazu, dass z.B. sehr hohe Risikopuffer in der Modellwelt häufig sicher erscheinen als sie tatsächlich sind. Denn während die Theorie keinen rapiden Aktiencrash kennt, erleben wir Kursstürze in der Praxis häufiger als uns lieb ist. Zudem ist die entscheidende Größe in der Modellwelt, die Volatilität, unbekannt. So können auch bei identischen Modellen unterschiedliche Wahrscheinlichkeiten ermitteltet werden, abhängig davon ob z.B. mit der impliziten oder historischen Volatilität gearbeitet wird.
Die ersten Emittenten veröffentlichen seit Kurzem ebenfalls Wahrscheinlichkeiten für K.O.-Ereignisse. Dabei stützen sich die Produktanbieter i.d.R. auf den Modellansatz. Gibt es dafür Gründe?
Vielfach sind Emittenten aus juristischen Gründen vorsichtig geworden, was die Verwendung von Backtestings also empirischen Berechnungen angeht. Produktanbieter bevorzugen daher die implizite also modellbasierte Ermittlung von Wahrscheinlichkeiten. Für den Anleger spielt das keine Rolle. Für ihn ist entscheidend welche Methode die Realität am besten wieder gibt. Er sollte sich daher mit beiden Kennzahlen auseinander setzen.